Of Mice And Men

Ich fülle seit 11 Jahren selbständig meine Steuererklärung aus. Ich weiss, wie man einen Akkuschrauber bedient und mittlerweile klappt es auch meistens mit dem Velopumpen. Doch meine von mir so hoch geschätzte Unabhängigkeit, der es im Kern darum geht, dass sie ohne Männer gut auskommen will und kann, hat in den letzten Tagen arg gelitten. 

Mit den Spinnen habe ich mich arrangiert. Als Mädchen habe ich laut schreiend meinen Vater oder meinen grossen Bruder herbeigerufen, wenn ein solches Exemplar es wagte, mein Zimmer zu betreten. Doch mittlerweile bin ich routinierte Spinnenfängerin, im Herbst sogar Spinnenjägerin, dabei ist maximal ein gemurmeltes «Igitt» von mir zu hören. 

Doch nun handelt es sich um eine Maus, genauer gesagt mehrere Mäuse. Vielleicht sind es auch Ratten oder alles zusammen: Mäuse, Ratten und Siebenschläfer. Sie trainieren Nacht für Nacht für einen Halbmarathon und wenn sie zwischendurch eine Pause benötigen, dann suchen und nagen sie sich unerschrocken und beharrlich neue Wege für die nächsten Trainingseinheiten. Auch wenn ich Sport als überflüssige Zeitverschwendung betrachte, bringe ich Wesen mit ausserordentlichem Bewegungsdrang grundsätzlich Verständnis entgegen. Was mir aber nicht einleuchtet ist, dass sie das ausgerechnet in meinen Wohn- und Schlafzimmerwänden und im Zwischenboden meiner Zimmerdecke tun müssen. Es gibt doch so viele andere Häuser und tausende Menschen mit ausgesprochen tiefem Schlaf, die das nicht mal bemerken würden. Ich hingegen zittere, erstarre und male mir aus, wie sie mit vereinten Kräften nicht nur die Herrschaft in meiner Wohnung übernehmen, sondern schliesslich auch das Haus zum Einstürzen bringen werden. Mein Vater und mein grosser Bruder sind weit weg, also flüchte ich ins Kinderzimmer meines vierjährigen Sohnes, in diesem Teil des Hauses gibt es Gott sei Dank nur Spinnen. Doch mein Versuch, auf der Spielmatratze einzuschlafen ist ungefähr so erfolgreich wie ich es bei einem Halbmarathon wäre. 

Meine Gedanken kreisen nächtelang um diese Mäuserattenschläfer. Hilft es, wenn ich überall in der Wohnung das Licht leuchten lasse nachts, kriegen die das in den Wänden neben mir und in der Decke oben mit? Gedacht, getan. Zwei Nächte lang war es ruhig, aber dann scheinen diese schlauen Tiere gelernt zu haben, dass es nichts zu befürchten gibt, auch wenn es heller ist als üblich. Soll ich mich also im Miauen einer Katze üben? Muss ich wirklich neben Studium und Arbeit jetzt auch noch nachts ein Parallelleben als Katze führen? Dann würde ich mir eher eine Katze kaufen, obwohl ich eigentlich liebend gerne einen Hund hätte. Das müsste dann aber eine Katze sein, die nachts in meiner Wohnung Mäuserattenschläfer fängt. Das würde allerdings bedeuten, dass ich das vom Vater meines Sohnes mit Steinen zugestopfte Mausloch im Wandschrank meines Wohnzimmers öffnen müsste und damit den Nagern Zutritt zu meiner Wohnung gewährte. Und wenn die Katze die Tiere dann tatsächlich gefangen haben sollte, müsste ich mich dennoch darum kümmern, ich. Nein, das ist keine Option. Im Übrigen fehlt mir sowieso das Geld für ein Haustier, egal ob Hund, Katze oder Maus. Letzteres war der Vorschlag meines Sohnes, wir könnten die Maus doch einfangen und als Haustier halten.

Es war dann meine Mutter, die in dieser einen Nacht, als der Krach ein ungeahntes Ausmass annahm und ich zitternd und händeringend die Nummer meiner Eltern wählte, mit einem Beutel voll Körner vorbeikam, die nicht in die Hände meines Sohnes gelangen dürfen. Sie hat die Steine aus dem Mausloch genommen, grosszügig Körner in den Gang dahinter gelöffelt und das Loch anschliessend wieder sorgfältig verschlossen. Und es war meine Schwester, die mir einen Kammerjäger empfahl, der sich mit solchen Mäuserattenschläfern auskennt und darauf spezialisiert ist, dass nachts in den Wänden und Decken wieder Ruhe einkehrt. 

Ich campiere bis auf Weiteres im Kinderzimmer und hoffe, dass die Körner meiner Mutter Ruhe bewirken werden – ansonsten wünsche ich mir einen Kammerjägereinsatz zu meinem dreissigsten Geburtstag. Vielleicht geht es beim Erwachsenwerden gar nicht so sehr um Unabhängigkeit, sondern um das Erkennen der wirklich wichtigen Wünsche. 

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Für eine Handvoll Hirnzellen

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"Giits en Kafi?"